Wettfahrtleitung statt Soling: Klaus Schäfers erinnert sich an die olympischen Segelwettkämpfe von 1972 vor Kiel
Mit Ausnahme von 1952 in Helsinki (Finnland), 1960 in Rom (Italien) und 1984 in Los Angeles (USA) waren sie in allen deutschen olympischen Segelteams der Nachkriegszeit vertreten: die Segler aus der Ostzone und Ostberlin, der DDR bzw. den neuen Bundesländern – je nach Sprachgebrauch in den vergangenen Jahrzehnten. Der Einstieg in die Olympischen Spiele war holprig, der Auftritt dann umso erfolgreicher. Dabei kam es 1972 vor Kiel zum ersten Wettstreit zweier deutscher Olympia-Mannschaften mit jeweils eigenem Emblem, eigener Fahne und eigener Hymne. Erinnerungen an die olympischen Segelwettkämpfe von 1972 sowie die Zeit davor und danach aus dem Blickwinkel der Aktiven aus den neuen Bundesländern werden zum 50-jährigen Revival der Olympischen Segelwettkämpfe vor Kiel wach. Vom 10. bis 21. August verbindet Kiel die Zukunft mit der Historie. Den Segel-Auftakt machen die Gemeinsamen Internationalen Deutschen Jugendmeisterschaften (GIDJM, 13 Klassen) vom 10. bis 16. August, bevor vom 17. bis 21. August die sechs olympischen Klassen von 1972 zeitlich gestaffelt zum Revival an den Start gehen gefolgt. Mit zahlreichen weiteren Veranstaltungen an Land und auf dem Wasser feiert Kiel vom 6. August bis 8. September das Jubiläum.
Rückblick: Die zehn besten deutschen Solings traten vor Kiel zur letzten Qualifikationsserie für die Olympischen Spiele 1972 auf dem olympischen Revier in Schilksee an. Am Ende hatten die Bayern Norbert Wagner/Hans-Joachim Berndt/Friedrich May den Bug vorn, vertraten die Bundesrepublik Deutschland im Dreimann-Kielboot und belegten Rang elf bei 26 Startern. Neun weitere deutsche Crews hatten in der Qualifikation das Nachsehen. Darunter auch die Berliner Klaus Schäfers/Thomas Lutterbeck/Mathias Fiedler vom Verein Seglerhaus am Wannsee (VSaW). Dennoch haben Schäfers und Lutterbeck die Olympischen Spiele in Kiel miterlebt – als Mitglied im Wettfahrtteam des VSaW.
„Das war ein sehr schönes Erlebnis“, erinnert sich der 83-jährige Schäfers an die Olympischen Spiele von 1972 in Kiel. Allein die Eröffnungsfeier sei ein sensationelles Erlebnis gewesen, so der ehemalige Augenoptiker. Das Militärorchester sei voranmarschiert, und die Aktiven tanzten zu den Rhythmen fröhlich durcheinander. „Alle strahlten“, erinnert sich Schäfers, der gemeinsam mit seinem Soling-Mittelmann Thomas Lutterbeck und dessen Mutter Edith Lutterbeck zu den letzten noch Lebenden aus dem VSaW-Wettfahrtteam von 1972 gehört.
Rund 20 Personen gehörten dem Berliner Team auf Bahn Bravo an, in dem die Aufgaben genau verteilt waren: Die Frauen führten das Protokoll und die Zieldurchgangslisten. „Es war der wahre Horror, die Ergebnisse einzugeben, zu prüfen und dann an Land zu funken“, erinnert sich Schäfers, der selbst auf der Barkasse am Pinnend im Einsatz war. Zusammen mit Hermann Lutterbeck und dessen Sohn Thomas schaute er nach Frühstartern auf Bahn Bravo, die mit den drei olympischen Zweimann-Klassen Tempest, Flying Dutchman und Star belegt war. Auf Bahn Alpha segelten die Dreimannboote Soling und Drachen und auf Bahn Charly der Einhand-Finn.
Doch die Olympischen Spiele waren mehr als „nur“ der Einsatz in der Wettfahrtleitung. Räucherfisch beim Berliner Abend, der Besuch im Rathaus beim Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg (1971-1982) und die Abende in der großen Bierpagode im Garten des ehemaligen Puls Hotels (heute Strandhotel) in Strande bleiben für immer in Erinnerung. „Der große Staatsempfang bei Herrn Stoltenberg fand parallel zur Windjammerparade statt. Doch es war kein Durchkommen in Kiel. Die Autos standen auf der Straße, die Wiesen und Straßenränder waren vollgeparkt. Nur ich hatte einen Roller dabei und kam rechtzeigt zum Empfang – mit zerzausten Haaren und dem Anorak in der Hand. Zumindest für eine halbe Stunde hatte ich den Ministerpräsidenten und sein Gefolge für mich“, erinnert sich Schäfers. Es war die erste Windjammerparade in Kiel, die sich danach als Teil der Kieler Woche etabliert hat. Und es war ein feierlicher Höhepunkt am 3. September 1972. 500.000 Menschen bestaunten die 70 Großsegler aus 20 Nationen. „So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen“, schwärmte dann auch der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann. Klaus Schäfers erlebte die Parade sozusagen im Vorüberfahren.
Kür und Pflichtprogramm zugleich waren auch das Treffen vor Puls Hotel von Strandes Bürgermeister Ernst-August Petersen und der schon bei den Kieler Woche traditionelle Berliner Abend mit Räucherfisch – Pflicht vor allem für diejenigen, die keinen Fisch mochten.
Doch auch wenn die schönen Momente in der Erinnerung überwiegen, so bleibt natürlich auch die Erinnerung an das Attentat von München, bei dem ein palästinensisches Terrorkommando elf Mitglieder der israelischen Mannschaft ermordete. „Wir haben es in der Vaasahalle am Radio miterlebt und eigentlich zunächst gar nicht verstanden. Es war der pure Schock. Von einem auf den anderen Moment kippte die Stimmung von purer Freude in Schockstarre. Wir wussten ja auch nicht, wie es weitergeht“, erinnert sich Klaus Schäfers an den unbeschreiblichen Moment. „Zwischen Trauer, dem Mitgefühl für die Hinterbliebenen, dem Gedanken an ein eventuelles Ende der Olympischen Spiele und vor allem der Machtlosigkeit“ beschreibt der Berliner seine Gefühle in diesen schwarzen Stunden. „Trotz des Mitgefühls und der Trauer haben wir dann aber doch erleichtert aufgeatmet, als IOC-Präsident Avery Brundage verkündete „The Games Must Go On“, so Schäfers.
Bundespräsident Gustav Heinemann hatte die Olympischen Spiele am 26. August 1972 in München eröffnet, am 28. August taten dies Avery Brundage und NOK-Präsident Willi Daume in Kiel. 320 Segler aus 42 Nationen gingen mit 153 Booten an den Start, begleitet von 250 Journalisten aus 20 Ländern. Dann zerstörte das Attentat vom 5. September die Leichtigkeit und Fröhlichkeit der Spiele. Einen halben Tag wurden die Spiele unterbrochen, am 6. September fand die Trauerfeier mit 80.000 Menschen in München statt.
„Harlekin“ (G 187) hieß der Soling von Klaus Schäfer. Fotos: privat.
Israelis noch die Regatta am 5. September mit, zurück an Land brach für sie dann jedoch eine Welt zusammen. Crew und Betreuer reisten ab nach München und flogen von dort mit den Überlebenden des Attentats und den toten Kameraden zurück nach Israel. „Man hat uns in München auf das Flugfeld geführt, und da waren die elf Särge in einer Reihe aufgestellt“, erinnert sich Friedländer. Die von den israelischen Seglern ausgelassene Wettfahrt war zugleich die letzte bei den Olympischen Spielen in Kiel.
Für Klaus Schäfers bleibt ein Wechselbad der Gefühle in Erinnerung. Doch das Gefühl, in Kiel dabei gewesen zu sein, ist bis heute großartig. „Es war für mich und wohl für alle Ehrenamtlichen ein unbeschreibliches Erlebnis, und für Kiel ein großes Ereignis, ein Erfolg“, resümiert der 83-Jährige.
Dass Schäfers schnell einen Platz in der Berliner Wettfahrtleitung fand, war übrigens kein Zufall. Über 34 Jahre war er im Einsatz für die Kieler Woche. Seine „Ebb Tide“ (Chesapeak Bay-Boat) war Startschiff – meistens bei den Staren und den 470ern. Nachdem Schäfers die 1969 gebaute Yacht 1979 in Hamburg gekauft hatte, wechselte sie den Verein. Das einstige Startschifft des Norddeutschen Regatta Vereins (NRV) in Hamburg wurde unter Achim Kadelbach Startboot der Berliner und blieb es bis 2017.
Und auch wenn der Start im Soling 1972 gescheitert und damit jede Medaillenchance zunichte gemacht war, so gab es schließlich doch noch Gold für Klaus Schäfers und die anderen Berliner Ehrenamtlichen. Dr. Kurt Pochhammer, Vorsitzender des VSaW von 1968 bis 1992, lud das gesamte Team zu sich nach Hause ein und überreichte ihnen eine extra angefertigte goldene Plakette als Dank für ihren Einsatz für den VSaW in Kiel. „Ich glaube, dass diese Geste keiner von uns vergessen wird. Alles war 1972 noch viel persönlicher“, so Schäfers. Im August will der 83-Jährige Kiel zum Olympia-Revival einen Besuch abstatten – um Erinnerungen aufzufrischen und alte Bekannte wiederzutreffen.
Text: Hermann Hell
Der Regatta-Plan:
GIDJM
Klassen: Optimist, Laser Radial, Laser 4.7, Europe, Teeny, Cadet, O’pen Skiff, 29er, 420er, Pirat, Techno 293, Open Windfoil Youth.
Mittwoch, 10. August, und Donnerstag, 11. August: Vermessung.
Freitag, 12. August, bis Dienstag, 16. August: Wettfahrten
50 Jahre Olympia vor Kiel-Schilksee:
Klassen: Drachen (Ranglisten-Regatta), Flying Dutchman (IDM), Finn Dinghy (EM und U23-EM), Soling, Star (North European Championship), Tempest (WM).
Montag, 15. August: Vermessung: Finn und Tempest
Dienstag, 16. August: Vermessung: Finn; Practice Race: Tempest
Mittwoch, 17. August: Vermessung: Star; Wettfahrten: Finn und Tempest
Donnerstag, 18. August: Wettfahrten: Finn, Tempest, Star, Drachen
Freitag, 19. August: Wettfahrten: Finn, Tempest, Star, Drachen, Soling, Flying Dutchman
Samstag, 20. August: Wettfahrten: Finn, Tempest, Star, Drachen, Soling, Flying Dutchman
Sonntag, 21. August: Wettfahrten: Finn, Tempest, Star, Drachen, Soling, Flying Dutchman – danach: Siegerehrungen