Favoriten setzen sich in Szene
Morgens um 8 Uhr in Schilksee: Die Sonne entfaltet ihre Kraft; rund um das Olympiazentrum erwacht das Leben. Vor den Wohnmobilen auf dem Campingplatz steigen kleine weiße Dampffahnen aus den Bechern empor, Kaffeeduft verbreitet sich unter den Vordächern. Ein paar Zeltstangen sind noch mit Girlanden einer vorabendlichen Geburtstagsfeier geschmückt. Die erste Entscheidung des Tages, die gefällt werden muss, lautet: „Brötchen mit oder ohne Körner?“
Die Gemeinsamen Internationalen Deutschen Jugendmeisterschaften (GIDJM) in Kiel läuten ihren zweiten Regattatag ein. Während bei einigen Betreuern und Athleten zu dieser frühen Stunde der Blick noch nach innen gerichtet ist, haben andere den Fokus schon auf die bevorstehenden Wettfahrten gerichtet. Im Segel-Dress geht es Richtung Hafenvorfeld. Einige Opti-Segel sind schon gestellt, bei einer Handvoll Teenys flappen bereits die Focks müde im lauen Wind, und die Ilca-Segel werden ausgerollt.
Wasserwacht und DLRG haben die ersten Daten des Tages erhoben. Wasser- und Lufttemperatur sind gemessen, die Infos werden zur Besprechung der Wettfahrtleitungen mitgebracht. Fabian Bach versammelt als Oberster Wettfahrtleiter die Bahn-Chefs, Jury-Mitglieder, Vermesser und Technikabteilung zur Feedbackrunde. Nach dem Lob für den ersten Tag der Meisterschaften, der das volle Programm für alle Klassen geboten hat, geht es in die Details. Leichte Korrekturen für die Positionierung der Kurse sollen die Abläufe für Segler und Wettfahrtleitungen noch schlanker machen. Die Diskussion über die Auslaufzeiten für die Athleten ist schnell geführt. Der Blick auf die Ostsee verrät, dass der Wetterbericht wohl richtig liegt: Gradientwind und thermische Einflüsse werden erst später am Vormittag für segelbare Bedingungen sorgen. Damit ist eine Startverschiebung um eine Stunde beschlossene Sache. Das bringt Zeit für einen weiteren Kaffee. Doch um 10.15 Uhr geht es los: Die schrille Glocke im Hafenvorfeld kündigt das Auslaufen an. Ilca6 und 420er eröffnen den Reigen an den Rampen. 15 Minuten haben sie Zeit, um auf das Wasser zu kommen, dann folgen die anderen Klassen in vorgegebener Taktung, die sich am ersten Wettfahrttag bewährt hat: keine Zeit zum Trödeln, aber auch kein Grund, um in Hektik zu verfallen.
So nimmt der zweite Regattatag Fahrt auf, bietet bis zum Abend 31 Wettfahrten in den neun Klassen.
Ganz entspannt kam Henric Wigforss nach den drei Wettfahrten im Opti an Land. „Leicht drehender, moderater Wind – ähnlich wie gestern. Das lief gut für mich“, berichtete der Schwede. Der Blick in die Ergebnisliste untermauert diese Aussage. Nach sechs Wettfahrten stehen sechs Siege für den Fünften der Weltmeisterschaft zu Buche. Die Zielvorgabe scheint damit klar: „Na klar will ich den Titel gewinnen“, so Wigforss. Die deutschen Spitzensegler müssen sich vorerst mit der Verfolgerrolle zufriedengeben. Dazu gehört auch Clara Sigge vom Baldeneysee, für die der Auftakt in die GIDJM alles andere als wunschgemäß lief. In der ersten Wettfahrt wurden ihre zwei Kringel nach einem Penalty nicht als vollständig akzeptiert. Seitdem schleppt sie eine Disqualifikation mit, kann sich keinen Patzer mehr erlauben. Das erhöht den Druck, den die Zwölfjährige eigentlich vermeiden wollte. Denn die Augen sind ohnehin auf die Seglerin aus Essen gerichtet – spätestens seit dem Gewinn der Silbermedaille bei der Europameisterschaft vor einer Woche in Sonderborg. Seit ihrem Umstieg in die Opti-A-Klasse 2019 hatte Clara Sigge von einem Start bei einer internationalen Meisterschaft geträumt. Bei der EM-/WM-Ausscheidung im Mai vor Warnemünde schaffte sie als Neunte den Sprung in den EM-Kader. Und zum Saisonhöhepunkt vor Sonderborg lief sie zur großen Form auf. „Eigentlich war nur das Erreichen der Goldflotte das Ziel. Aber schon das Training gegen andere Nationen lief so gut, dass ich sehr zuversichtlich war. Die Überraschung über die EM-Silbermedaille war dann auf einer Skala von Eins bis Zehn eine Sieben“, berichtet die jüngste deutsche EM-Starterin, die als Fünfjährige mit dem Segeln begonnen hat und mit sechs Jahren ihre ersten Regatten gesegelt ist. Mit der EM-Medaille im Gepäck hat sich Clara Sigge vorgenommen, die IDJM locker anzugehen – vor allem nach Platz vier und dem Gewinn des U13-Titels im vergangenen Jahr: „Eine Top-5-Platzierung wäre cool. Aber wenn es nicht klappt, ist es auch nicht schlimm. Mit der EM-Medaille habe ich in diesem Jahr mehr erreicht, als erwartet.“
Obwohl sie mit dem Verlauf des Tages nicht zufrieden waren, verteidigten Jona Lotta Hahn/Svea van Raden ihre Führung bei den Teenys souverän. „Gestern lief es deutlich besser. Heute sind wir nach dem Start jeweils links rausgefahren. Das war leider die falsche Seite. Danach mussten wir uns erst wieder nach vorn arbeiten“, sagte die Steuerfrau. Die Aufholjagd wurde aber jeweils belohnt. Mit den Plätzen 6, 3, 3 hielten sie die Verfolger aus Berlin (Niko Becker/Timo Orth und Greta Boedefeld/Hannah Kenning) in der Gesamtwertung deutlich in Schach. Für das Spitzenteam aus Bremerhaven und Borkum, das zwar für den SV Speichersee Emsland startet, dort aber nur selten gemeinsam trainiert, stehen die Zeichen nun auf Gold.
Zum Abschluss des zweiten Regattatages kassierte Ilca-4-Spitzenreiter Felix Bonhagen (Zwischenahner SK) zwar mit einem 14. Platz sein Streichresultat, noch aber reicht es, um die direkten Verfolger, Tom Struve (Kieler YC) und Franz Lasch (SC Fraternitas Berlin), knapp auf Distanz zu halten. Die Punktabstände in den Top-Ten sind aber so eng, dass in den kommenden drei Finaltagen harte Kämpfe um die Medaillen zu erwarten sind.
In der Ilca 6 zieht Ole Schweckendiek (Kieler YC) einsam seine Kreise: Nach sechs Rennen stehen sechs Siege und die Idealnote von fünf Punkten zu Buche. „Ich bin mit kleinen Drehern sehr gut zurechtgekommen. Alles lief perfekt. Ehrlich gesagt, war es relativ einfach“, so der U19-Europameister und Bronzemedaillengewinner der Youth Worlds. Noch stehen acht Rennen in der Goldflotte aus, doch es sieht nach einem gelungenen Abschied aus der Klasse Ilca 6 für das große Segeltalent aus, das direkt im Anschluss an die GIDJM in den olympischen Ilca 7 wechselt.
Nahtlos setzt Antonia Richter vom Dümmer ihren Ritt auf der Erfolgswelle fort. Nachdem die 18-Jährige gerade Bronze bei der Jugendeuropameisterschaft auf der Müritz gewonnen hat, eröffnete sie die Deutsche Jugendmeisterschaft mit einem Tagessieg und steht auch nach drei Wettfahrten mit einem zweiten und dritten Platz in der Folge an der Spitze des Rankings. Die Meisterschaft scheint zu einem Festival der Dümmer-Segler zu werden. Denn auch die nächsten Verfolger, Lotta Dahm und Larson Schütze, stammen von dem niedersächsischen See.
Beständigkeit ist Trumpf: Nach diesem Motto sammeln die IDJM-Titelverteidiger Anton und Johann Sach ein Top-Resultat nach dem anderen ein. Mit den Plätzen 2, 2, 1, 1 am Sonnabend ließen die Siebten der Youth Worlds nichts anbrennen und schoben sich auf den ersten Platz. „Es lief sehr gut heute. Die Bedingungen waren besser als gestern“, war Johann Sach sichtlich zufrieden. Die Wertfahrtleitung habe es super gemacht und in drei Stunden vier Wettfahrten durchgezogen. Von einem Heimvorteil wollte das Lübecker Duo aber nichts wissen. „Bei Westwind vielleicht. Dann kennt man die Strander Düse und so weiter, aber diese Bedingungen wie heute gibt es nicht nur vor Kiel“, so Johann. Abgerechnet werde aber erst am Schluss. Bei der Kieler Woche mussten sie als Siebente noch ihren deutschen Dauerkonkurrenten Carl Krause/Max Georgi (Rostocker Segelverein Citybootshafen) den Vortritt lassen, die hinter Moritz Wagner/Ole Guntermann (Deutscher Touring Yacht-Club) nun auf Rang drei der IDJM-Wertung liegen. Einen herben Rückschlag gab es für Sophie Schneider/Lukas Goyarzu vom Bodensee. Als Führende gingen sie in den Tag, kassierten eine Frühstart-Disqualifikation und rutschten mit den weiteren Platzierungen 17, 5, 10 auf Gesamtrang vier ab.
Der leuchtende Dress der Führenden beflügelte die 420er-Spitzenreiter Johann Lemmer/Jannis Liebig (Berlin) zu weiteren Top-Ergebnissen. Mit drei Siegen in den drei Wettfahrten des Tages bauten sie ihren Vorsprung auf Jesper Fleischer/Theo Gnass (Wiesbaden) weiter aus. Als Erste im Hafen, aber alles andere als glücklich waren Lysander Winter/Constantin Bötsch. Die Hamburger waren mit den pink-farbenen Leibchen der Gesamtdritten in den Tag gegangen, lieferten in zwei Wettfahrten auch solide Resultate ab, wurden dann aber von der Jury vorzeitig nach Hause geschickt und sind nun Sechste. „Wir wurden im letzten Rennen zweimal geflaggt und waren damit raus. Das erste Mal war wegen Pumpens, das zweite Mal haben wir nicht verstanden. Es war bei der Tonnenrundung, aber wir hatten aus unserer Sicht keine Tonnenberührung“, so Constantin Bötsch. Von der Performance der derzeit führenden Emmer/Liebig sind die beiden beeindruckt. „Die starten genauso schlecht wie wir, sind dann aber schon nach fünf Minuten wieder vorn“, so Lysander Winter, der aber gleich eine Kampfansage hinterher schickte: „Morgen soll mehr Wind kommen, dann fahren wir drei Erste und alles ist wieder drin.“
Ein Spontan-Duo drückt dem Titelkampf der deutschen Piraten-Jugend ihren Stempel auf. Bis vor einer Woche kannten sich Mia Sophie Aldag und Johan Rohner noch gar nicht. Dann fiel der Stammvorschoter der Hamburgerin mit einem geplatzten Blinddarm aus, und die hektische Suche führte ihr den Berliner ins Vorschiff. „Wir sitzen heute erst zum vierten Mal zusammen im Boot, haben zwei Tage Intensivtraining hinter uns und machen einfach unser Ding“, berichtete Johan Rohner von der Erfolgsformel, und seine Steuerfrau lacht dazu: „Das Boot ist einfach schnell.“ Der Anlaufphase am ersten Tag mit einem zweiten und einem elften Platz ließen sie vier Siege folgen. Damit entthronten sie die Top-Platzierten des ersten Tages, haben schon zehn Punkte Vorsprung und sehen einen goldenen Schimmer am Horizont der Meisterschaft. Es wäre für beide der erste große Titelgewinn. Noch aber stehen drei Regattatage aus – mit möglicherweise veränderten Windbedingungen: „Mal sehen wie es läuft, wenn der Wind an den kommenden Tagen stärker werden sollte“, so Mia Sophie Aldag.
Surfer Jakob Ditzen scheint auf der Jagd nach dem ersten Deutschen Jugendtitel in der Klasse Open Windfoil nur zu bremsen, wenn er sich selbst im Weg steht. Eine Frühstart-Disqualifikation in der Sieges-Serie des Berliners gibt der Konkurrenz zumindest Optionen, sollte der Führende sich einen weiteren Patzer erlauben.
Text: Hermann Hell & Ralf Abratis
Der Regatta-Plan:
GIDJM
Klassen: Optimist, ILCA 4, ILCA 6, Europe, Teeny, 29er, 420er, Pirat, Open Windfoil Youth.
Mittwoch, 10. August, und Donnerstag, 11. August: Vermessung.
Freitag, 12. August, bis Dienstag, 16. August: Wettfahrten
50 Jahre Olympia vor Kiel-Schilksee:
Klassen: Drachen (Ranglisten-Regatta/8 Wettfahrten), Flying Dutchman (IDM/ 7 W), Star (North European Championship/6 W), Tempest (WM/9 W).
Montag, 15. August: Vermessung: Tempest
Dienstag, 16. August: Practice Race: Tempest
Mittwoch, 17. August: Vermessung: Star; Wettfahrten: Tempest
Donnerstag, 18. August: Wettfahrten: Tempest, Star, Drachen
Freitag, 19. August: Wettfahrten: Tempest, Star, Drachen, Flying Dutchman
Samstag, 20. August: Wettfahrten: Tempest, Star, Drachen, Flying Dutchman
Sonntag, 21. August: Wettfahrten: Tempest, Star, Drachen, Flying Dutchman – danach: Siegerehrungen