Weltmeister und Olympiateilnehmer im Star – Direkte Verbindung zwischen Hintern und Hirn
Wenn die Stare zu einer internationalen Meisterschaft auflaufen, dann ist das immer ein besonderes Ereignis. Denn die 1910 entworfene Klasse war nicht nur bis 2012 bei 18 Olympischen Spielen vertreten, sie nimmt auch heute noch die weltbesten Segler für sich ein. Und der Reiz, Starboot zu segeln, überträgt sich auch auf den Nachwuchs. Eleganz paart sich mit purer Kraft bei diesem übertakelten Kielboot, das auch ohne Foils und Gennaker für berauschende Wellenritte sorgt. Und ein Jahr nach der fünften Star-WM vor Kiel (1939, 1966, 1977, 1993 und 2021) treten 44 Crews zum Revival 50 Jahre Olympische Segelspiele (15. bis 21. August) in Kiel an. Neben dem Revival-Titel hat die Star-Klasse von Freitag bis Sonntag die North European Championship ausgeschrieben. Insgesamt stehen an den drei Tagen sechs Wettfahrten auf dem Programm.
Am Start sind Olympiateilnehmer, sowie Welt- und Europameister. Einer der bekanntesten Starter ist Alexander Hagen. Der Hamburger ist der erfolgreichste deutsche Star-Steuermann mit insgesamt sechs WM-Medaillen (2x Gold, 2x Silber und 2x Bronze) – und das mit fünf verschiedenen Vorschotern. Das olympische Treppchen blieb ihm jedoch verwehrt. Vor Kiel tritt Hagen mit Kai Falkenthal an, mit dem er 1993 bei der WM vor Kiel Bronze gewonnen hat.
„Es ist nach 13 Jahren mein erster Auftritt im Star. Zum Kiten und Surfen benötigt man deutlich weniger Kraft und eher mehr Technik. Heute zieht die Großschot doch mehr an mir, anstatt umgekehrt“, so Hagen, der zweimal bei Olympischen Spielen antrat und 1988 mit Fritz Girr Platz zehn, sowie 2004 mit Jochen Wolfram Rang 16 belegte. Auch Kai Falkenthal nahm an Olympischen Spielen teil: 1996 vor Atlanta (USA) belegten Frank Butzmann/Kai Falkenthal Platz zehn.
Für Hagen ist der Star das ideale Boot. „Es gibt dir sofort die Rückmeldung, ob du richtig segelst. Es ist super übertakelt, eben ein einmalig tolles Boot“, so Hagen. Man sei sofort online mit dem Star. „Wenn du dich hinsetzt, hast du sofort die direkte Verbindung zwischen Hintern und Hirn“, erklärt der Altmeister, der nicht nur durch die Kieler Woche Verbindung zur schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt hat, sondern auch durch die Spiele 1972. „Damals war ich im Jugendlager in Falkenstein“, erinnert sich Hagen. Es sei ein super schönes Erlebnis gewesen. „Ich hatte als 17-Jähriger zu allem Zugang, habe alle meine Heros gesehen und viele Freundschaften geschlossen, die bis heute bestehen“, sagt Hagen, der als Deutscher OK-Jollen-Meister eingeladen worden war.
Vor allem die Star-Duelle mit Achim Griese beherrschten die Segelsport-Schlagzeilen in den 80er-Jahren. In Kiel tritt Hagen jetzt an, um für die Klasse zu werben: „Es ist meine Klasse, der ich viel zu verdanken habe.“
Dabei treffen Hagen/Falkenthal auf eine weitere Olympiateilnehmerin von 1996. Vor Atlanta startete Sibylle Merk unter ihrem Mädchennamen Powarzynski in der damals olympischen Einhandjolle Europe (1992 bis 2004) und errang Platz sechs. Nach ihrem Ausstieg aus dem olympischen Segelsport entdeckte die Geschäftsführerin einer bayerischen Privatklinik die Liebe zum Starboot. Zusammen mit ihrem Ehemann Michael Merk kehrt die Vorsitzende des Bayerischen Landesseglerverbandes nun zum Revival nach Kiel zurück, wo sie in der Europe an zahlreichen Kieler Wochen teilgenommen hat.
Die zweite Steuerfrau ist die Flensburgerin Jolanda-Lene Engel-Müller, die bereits an der WM 2021 mit Ehemann Christopher startete und Rang 26 belegte.
Auch Joachim Hellmich kehrt nach Kiel zurück. Der Geschäftsführer und Projektleiter des Heinz-Nixdorf-Vereins stand von 1987 bis 1993 mit den Vorschotern Dirk Schwärtzel und Martin Nixdorf in den Star-Listen. Vor Kiel tritt Hellmich, der 1989 zusammen mit Martin Nixdorf die European Spring Championship gewann, mit seinem Sohn Johannes Hellmich an.
Ein Wiedersehen gibt es auch mit den WM-Teilnehmern des Vorjahres Jan Borbet/Jesper Spehr (Münchener Yacht-Club/SV Malente-Gremsmühlen) und Max Kohlhoff/Ole Bursinski (Norddeutscher Regatta Verein/Flensburger Segel-Club), die als beste Nachwuchscrews 2021 die Plätze zwölf und 14 belegt hatten.
Es sind die ganz großen Namen des Segelsports, die mit dem bis 2012 olympischen Starboot verbunden sind. Einige Ausnahmesegler, deren Namen fest mit dem Zweimann-Kielboot in Verbindung gebracht werden, sind der viermalige America’s Cup-Sieger Russell Coutts (NZL), der auch bei der Kieler Woche mit dem Schweizer Beat Stegmeier am Start war, der ehemalige Starboot-Weltmeister und America’s-Cup-Sieger Dennis Conner (USA) sowie der achtmalige Olympiateilnehmer in fünf Bootsklassen, vierfache Goldmedaillengewinner (1948 bis 1960 in Serie) und 13-fache Weltmeister in acht Bootsklassen (zweimal im Star) Paul Elvstrøm (DEN), der zweifache Starboot-Olympiasieger und Weltmeister Mark Reynolds (USA), der auch dreimal die Kieler Woche (1986, 2000 und 2002) im Starboot gewann, der fünffache Olympia-Medaillengewinner (davon zweimal Gold im Star) und mehrfache Kieler-Woche-Sieger Torben Grael aus Brasilien sowie der Brite Iain Percy, der nach Finn-Gold auch im Starboot Gold gewann und sich zweimal den Starboot-WM-Titel sicherte.
In der deutschen WM-Rangliste folgen Walter von Hütschler (2x Gold, 1938 und 1939, 1x Silber 1937), Robert Stanjek/Frithjof Kleen (Gold 2014, Silber 2011), Willi Kuhweide/Karsten Meyer (Gold 1972), Achim Griese/Michael Marcour (Silber 1983), Werner Fritz/Ulrich Seeberger (Silber 1989), Peter Hansohm/Christian Blankenbrug (Bronze 1939), Uwe von Below/Franz Wehofsich (Bronze 1977) sowie Paul Sranick/Reinhard Schmidt (Bronze 2017).
Auch bei Olympischen Spielen konnten deutsche Starboot-Crews zumindest ein Medaillen-Set erringen. Zuletzt waren es Achim Griese/Michael Marcour 1984 mit Silber, davor Willi Kuhweide/Karsten Meyer 1972 mit Bronze sowie 1936 Dr. Peter Bischoff/Hans-Joachim Weise mit Gold. Crews wie Marc Pickel/Thomas Auracher und Frank Butzmann/Kai Falkenthal drückten dem Star ebenso ihren Stempel auf und vertraten die deutschen Farben. Die große Beliebtheit das Stars in Deutschland unterstreicht auch die weltweite Statistik: Sechs WM-Titel, sechsmal die Vizemeisterschaft und fünfmal Rang drei stehen in der deutschen Star-WM-Bilanz seit 1922 zu Buche – Erfolge der deutschen Vorschoter bei einem Steuermann einer anderen Nation nicht mitgezählt (z.B: WM-Gold 2021: Diego Negri/Frithjof Kleen für Italien). In der Nationenwertung uneinholbar vorn sind erwartungsgemäß die USA mit 58x Gold, 52x Silber und 60x Bronze.
Der Star, 1910 als offenes Zwei-Mann-Kielboot von William Gardner und Francis Sweisguth entworfen, erlebte von Beginn an einen rasanten Aufstieg: 1911 wurde ein internationaler Interessenverband gegründet und seit 1922 fast jährlich eine Weltmeisterschaft ausgetragen. Bereits 1932 wurde der Star als olympische Bootsklasse ausgewählt und war damit die erste Einheitsklasse, die bei Olympischen Spielen an den Start ging.
Ab 1972 verlief die Erfolgsgeschichte des Zweimann-Kielbootes dann eher wellenförmig. Für die Olympischen Spiele in Kingston/Kanada 1976 verlor der Star seinen Olympiastatus, errang ihn jedoch vier Jahre später wieder zurück. An der Wiederaufnahme in den olympischen Kanon soll der Kieler Dierk Thomsen maßgeblich mitgewirkt haben. Doch für 2016 folgte das zweite endgültige olympische Aus.
Vor Kiel kommt es nach der Vorjahres-WM erneut zu einer Werbung für das Zweimann-Kielboot, das über 8500mal gebaut worden ist.
Text: Hermann Hell
Der Regatta-Plan
50 Jahre Olympia vor Kiel-Schilksee:
Klassen: Drachen (Ranglisten-Regatta/ 8 Wettfahrten), Flying Dutchman (IDM/ 7 Wettfahrten), Star (North European Championship/ 6 Wettfahrten), Tempest (WM/ 9 Wettfahrten).
- Mittwoch, 17. August: Vermessung: Star; Wettfahrten: Tempest – 11:00 Uhr erster Start
- Donnerstag, 18. August: Wettfahrten: Tempest, Drachen
- Freitag, 19. August: Wettfahrten: Tempest, Star, Drachen, Flying Dutchman; 18:00 Uhr: Eröffnungsfeier
- Samstag, 20. August: Wettfahrten: Tempest, Star, Drachen, Flying Dutchman
- Sonntag, 21. August: Wettfahrten: Tempest, Star, Drachen, Flying Dutchman – danach: Siegerehrungen