Segeln ist sein Lebenselixier

Pressemitteilung - 20. April 2022

Ullrich Libor: Bronzemedaille vor Kiel mit 32, Rückkehr mit 82

Drei Medaillen holten die beiden deutschen Segel-Nationalmannschaften (die Bundesrepublik und die DDR waren 1972 noch getrennt am Start) bei den Olympischen Spielen vor 50 Jahren auf der Kieler Förde. Neben der Silbermedaille im Drachen für die DDR-Crew Paul Borowski/Karl-Heinz Thun/Konrad Weichert und die Bronzemedaille im Star für Willi Kuhweide/Karsten Meyer gewannen Ullrich Libor und Peter Naumann Bronze im Flying Dutchman (FD).

Die wegen des Attentats vom 5. September auf die israelischen Sportlerinnen und Sportler in München verschobene Abschlussfeier wird nach Abschluss der verlegten Regatten nachgeholt. Auf dem Hafenvorfeld erhalten Ulli Libor (2.v.r.) und sein Vorschoter Peter Naumann (r.) die Bronzemedaille im Flying Dutchman überreicht. Der erste nicht britische Präsident des Weltsegelverbandes (1969-1986), Beppe Croce (Italien) war zur Siegerehrung angereist.  Fotograf: Magnussen, Friedrich (1914-1987), Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, aus dem Stadtarchiv Kiel.

Viele der Olympioniken zog es auch in den folgenden Jahren immer wieder ins Olympiazentrum Kiel-Schilksee: So besuchte der heute in den USA lebende Willi Kuhweide die Kieler Woche 2004 und erinnerte dort in einer Pressekonferenz auch an die Spiele von 1972. Und Ullrich (Ulli) Libor ist bis heute Stammgast in Kiel. Der gebürtige Coseler (Schlesien/heute Koźle in Polen), der unzählige Male bei der Kieler Woche an den Start ging, Titel im Piraten und FD hamsterte und mit 32 Jahren Olympia-Bronze gewann, trat zuletzt 2019 bei der Kieler Woche an. Mit 79 Jahren belegte er in der Inklusionsklasse 2.4mR den fünften Platz, im Vorjahr sicherte er sich hier sogar Platz zwei. Gern erinnert sich der Vollblutsegler an Kiel-Schilksee und die olympischen Klassen von 1972, die nun vom 15. bis 21. August beim Revival „50 Jahre Olympische Spiele in Kiel“ noch einmal in Schilksee an den Start gehen. Mit dabei: Ulli Libor, der mit dann 82 Jahren nach 50 Jahren sein FD-Comeback auf der Kieler Förde plant.

Erst die Jugend (U20, Jahrgang 2003 und jünger) bei den Gemeinsamen Internationalen Deutschen Jugendmeisterschaften (10. bis 16. August), dann die ehemaligen Olympischen Klassen (15. bis 21. August) bei den Revival-Regatten – so schaffen die Veranstalter eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft in dem 1966 im Rahmen der Kieler Woche eröffneten Olympiahafen in Schilksee.

Ullrich Libor war in den Pressekonferenzen der Kieler Woche ein gerngesehener Gast. Hier 2017, natürlich nach den Wettfahrten auf dem Wasser. Foto: www.segel-bilder.de

Dass Segeln jung hält, unterstreicht Ulli Libor eindrucksvoll. Segeln ist sein Lebenselixier. Der Ausnahmesegler vom Norddeutschen Regatta Verein (Mitglied seit 1954) blickt auf eine außergewöhnliche Karriere zurück. Zwei Olympische Medaillen im FD (1968 Silber vor Acapluco/Mexiko und 1972 Bronze vor Kiel), ein EM-Titel 1960 im Snipe, EM-Vize im FD 1972 und zahlreiche Kieler-Woche-Siege ragen heraus. Doch Libors Regatta-Laufbahn ist deutlich vielschichtiger: An den Start ging er im Pirat (3x Jugendmeister, 1x Dänischer Meister in der Zeit von 1956 bis 1959), in der OK-Jolle, im Tempest, Flying Dutchman (zweimal Deutscher Meister einmal Vize von 1964-1971), Starboot, Drachen (DM-3. 2008), Viertel-Tonner, Halb-Tonner, auf den Admiral’s Cup Yachten „Jan Pott“ (Norbert Lorck-Schierning/Flensburg) und „Container“ (Udo Schütz/Selters/viermaliger Teilnehmer/Sieger 1982), in der 12mR, 5,5mR sowie zuletzt in der 2.4mR (seit 2014 bis heute/Holländischer Meister, Irischer Vizemeister). Für seine sportlichen Erfolge wurde der heute in Rheinland-Pfalz lebende Ausnahmesportler bereits am 27. November 1968 mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet.

Nach seinem Ausflug in die Admiral’s-Cup-Szene, dem überstandenen Fastnet Race von 1979, bei dem 19 Segler ums Leben kamen und nach dem er die „Jan Pott“ sicher nach Hause brachte, wechselte Libor ins Ehrenamt.1982 bis 1990 war er DSV-Vizepräsident sowie Vorsitzender des Olympia-Segel-Ausschusses und fungierte zweimal als Mannschaftsleiter bei den Olympischen Spielen 1984 vor Los Angeles (USA) und 1988 vor Pusan (Südkorea).

Anschließend tauschte Libor das Boot gegen den Golfball, zog in den Südwesten der Republik und war 16 Jahre lang Geschäftsführer des Deutschen Golf-Verbandes. 14 Jahre nahm er an keiner Regatta teil, bis er im gesetzten Alter zusammen mit Bernd Faber, Harro Kniffka und zeitweise seinem Sohn Janos Teil Zwei seiner aktiven Segel-Laufbahn im Drachen startete.  Die WM-Vizemeisterschaft und der HLL-Dragon Grand Prix vor Neustadt bleiben unvergessen. Dabei standen nicht nur der eigene Segelspaß und -erfolg im Brennpunkt. Stets unterstützte Libor auch Nachwuchstalente wie beispielsweise Robert Stanjek und dessen Starboot-Olympiakampagne mit Markus Koy 2008.

Willi Kuhweide war 2004 bei der Kieler Woche. Hier in der Pressekonferenz mit Hermann Hell. Foto: www.segel-bilder.de

Kiel-Schilksee war für Ulli Libor immer das zweite Zuhause – vom ersten Auftritt als 16-Jähriger im Jahr 1956 über den Kieler-Woche-Titelgewinnen im Piraten (1960) und FD bis zur olympischen Bronzemedaille 1972 und den jüngsten Starts in der 2.4mR hat er alle Entwicklungen vor Ort hautnah miterlebt. Berthold Beitz, Mitglied im Nationalen Olympischen Komitee Deutschlands und von 1972 bis 1988 auch Mitglied im Internationalen Olympischen Komitee /IOC, holte als Vorsitzender des Segelplanungs-Ausschusses den Silbermedaillengewinner von 1968 – übrigens gegen den Wunsch des DSV – ins Planungskomitee für die Olympischen Spiele. „Mein größtes Ziel war es, die Belange der Segler mehr zu vertreten“, so Libor, der in Neapel (Italien) 1960 als Ersatzmann und 1968 in Mexiko miterlebt hatte, dass die Aktiven bei Olympia größtenteils alles selbst organisieren mussten.

1966 wurde der Olympiahafen in Schilksee im Rahmen der Kieler Woche eröffnet, deutlich bevor München ein Jahr später am 18. März Kiel für die Ausrichtung der Segel-Wettkämpfe ins Olympia-Boot holte. Der italienische Vizepräsident des Weltseglerverbandes Beppe Croce stellte 1967 sachlich fest: Es müsse in Schilksee alles außerhalb des Hafens neu gebaut werden. Und für über 150 Millionen DM von Stadt, Land und Bund entstand das Olympiazentrum in Schilksee – mit dem langgestreckten Betonbau mit Schwimmbad, Bootshalle, Organisationsräumen, Appartements, zwei Hochhäusern mit über 150 Wohneinheiten und dem Olympiahotel. Dafür verschwanden gerade neugebaute Anlagen wie das Hafenmeistergebäude von der Bildfläche. Das neue mit der Vorrichtung für die Olympische Flamme auf dem Dach erstrahlt seither im 285.000 qm großen Segelzentrum in doppelter Größe. Den Beton-Charme der späten 60er Jahre hat sich Kiel-Schilksee bis heute bewahrt.

Dass Ulli Libor noch in Form ist, bewies der 82-Jährige Anfang April beim 10. MünsterCup auf dem Aasee, einem Stausee in Münster. Libor setze sich mit dem gerade frisch getauften 2.4mR gegen 19 Konkurrenten mit fünf Siegen bei fünf Wettfahrten durch. Sein Boot „no crew, no cry“ taufte seine Tochter Enja. Foto: Jules Tronquet

1972 existierte noch eine andere olympische Welt mit anderen Richtlinien. Nur reine Amateure waren zu den Spielen zugelassen.  Doch die besten Segler der Welt verdienten ihr Geld bereits im Umfeld ihres Hobbys.  Paul Elvström mit Segeln, Harry „Buddy” Melges mit Booten und Rodney Pattison als freigestellter Marine-Offizier. Und auch Libor bezog sein Salär aus dem Segelsport, als er 1965 die erste Kunststoffjolle, die Conger, für Blohm & Voss entwickelte.  Konstrukteur war der Hamburger Karl Feltz. „Wir haben das Geld für unser Hobby im Segelsport verdient, aber wir bekamen kein Geld fürs Segeln. Wir haben alles selbst finanziert, die Reisen, die Segel, die Boote und die Entwicklung“, so Libor, dessen großes Ziel es war, auf dem Heimatrevier olympisches Gold zu holen. Doch mit seinem Holz-FD hatte er keine Chance gegen die modernen Neubauten. Pattison hatte einen brandneuen FD gebaut und die Franzosen ein Carbon-Schiff. „So musste ich am Ende mit Rang drei sehr zufrieden sein; und Bronze hatten wir erst mit dem Sieg in der letzten Wettfahrt erreicht“, so Libor, der sich noch bestens an die Olympischen Regatten mit seinem Vorschoter Peter Naumann erinnert.

Kieler war 1972 indes mehr als eine olympische Außenstelle von München. Zur Eröffnung konnte der oberste Wettfahrtleiter Otto Schlenzka (Kieler Yacht-Club) die geballte Olympia-Prominenz begrüßen. Neben Avery Brundage, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees/IOC, Willi Daume, 1961 bis 1992 Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland/NOK, und dem großen Gönner des KYC und Präsidenten des Vorstands und Kuratoriums der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung , Berthold Beitz, war auch reichlich Prominenz aus Politik und Wirtschaft vor Ort. „Bis dahin kann ich Segeln bei den Spielen nur im öffentlichen Abseits“, erinnert sich Libor heute. Die Abschlussfeier in Acapulco hatte die Aktiven selbst erst zu Einem Fest gemacht, indes sie mit Einem Leiterwagen und Einer Kapelle zum Ort der Ehrung,  einem eher eindeutig zweideutigen Etablissement, zogen.

Taufe des neuen 2.4mR “no crew, no crey” (v.l.): Enja, Ulli und Manuela Libor.

Kiel war da eine ganz andere Nummer. Segeln wurde ganz hoch aufgehängt, selbst die Bild-Zeitung berichtete auf der Titelseite. „Die unglaubliche Öffentlichkeit und die enorme Freundschaft unter den Teilnehmern werde ich nicht vergessen. Trotz des Wettkampfes um die Medaillen war es ein supergutes Verhältnis“, erinnert sich Libor.
Neben der hochwertigen Eröffnungsfeier und der Siegerehrung war im Umfeld auch die Unterstützung der Marine hochkarätig. 1500 Mann mit 80 Booten halfen den Kieler Regattaorganisatoren. „Und das geschah völlig unauffällig und zurückhaltend, sehr unmilitärisch“, so Libor.  Begleitschiffe für zirka 4000 Zuschauer brachten Interessierte auf „schwimmenden Tribünen“ zu den Regatten, und die Hostessen trugen Kostüme in martimem Look statt der in München präferierten Dirndl.

Natürlich erreichte die Nachricht vom tragischen Attentat in München auch die Segler in Schilksee – damals waren ausschließlich Männer am Start. „Am 5. Regattatag fiel uns zunächst das Polizeiboot auf, das nach der Wettfahrt neben den Israelis längsseits fuhr“, erinnert sich Libor noch gut an die unvorstellbaren Ereignisse. Dann erklärte IOC-Präsident Avery Brundage am Tag nach dem Anschlag am 6. September: „The games must go on“. 50 Jahre nach den Spielen, nach der Medaille und nach dem Attentat ist alles noch präsent. Und sicherlich werden all dieser Erinnerungen noch präsenter sein, wenn Ullrich Libor nach 50 Jahren und im Alter von 82 Jahren ab dem 19. August mit seinem FD vor Kiel-Schilksee an den Start geht. 

Ulli Libor im 2.4mR-Einsatz. 2019 belegte der zweifache Olympiamedaillengewinner vor Kiel Rang fünf. Foto: S. Klahn/Kieler Woche.

Übrigens:

Für sechs der sieben deutschen Segelmedaillengewinner von Kiel-Schilksee  waren es die zweiten Olympischen Medaillen. Willi Kuhweide hatte 1964 vor Tokio (Japan) im Finn Dinghy Gold gewonnen, Borowski/Thun/Weichert 1968 vor Acapulco (Mexiko) im Drachen Bronze und Libor/Naumann ebenfalls 1968 vor Acapulco Silber im FD.

 

Der Regatta-Plan:

 

GIDJM

Klassen: Optimist, Laser Radial, Laser 4.7, Europe, Teeny, Cadet, O’pen Skiff, 29er, 420er, Pirat, Techno 293, Open Windfoil Youth.

Mittwoch, 10. August, und Donnerstag, 11. August: Vermessung.

Freitag, 12. August, bis Dienstag, 16. August: Wettfahrten

 

50 Jahre Olympia vor Kiel-Schilksee:

Klassen: Drachen (Ranglisten-Regatta), Flying Dutchman (IDM), Finn Dinghy (EM und U23-EM), Soling, Star (North European Championship), Tempest (WM).

 

Montag, 15. August: Vermessung: Finn und Tempest

Dienstag, 16. August: Vermessung: Finn; Practice Race: Tempest

Mittwoch, 17. August: Vermessung: Star; Wettfahrten: Finn und Tempest

Donnerstag, 18. August: Wettfahrten: Finn, Tempest, Star, Drachen

Freitag, 19. August: Wettfahrten: Finn, Tempest, Star, Drachen, Soling, Flying Dutchman

Samstag, 20. August: Wettfahrten: Finn, Tempest, Star, Drachen, Soling, Flying Dutchman

Sonntag, 21. August: Wettfahrten: Finn, Tempest, Star, Drachen, Soling, Flying Dutchman – danach: Siegerehrungen

 

Text: Hermann Hell

Drachen

Finn

Flying Dutchman

Soling

Star

Tempest

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